Nur so viel: Es hat mir sehr gut gefallen, alles war wie erwartet (nettes Publikum, erstaunlicherweise oft in meinem reifen Alter; kein allzu langes Set, aber das war ja klar, war ja auch kein normales Konzert) bzw. wie erhofft (prima Stimmung; Sound OK; Paul Smith nett, höflich und engagiert wie immer; auch alte Hits gespielt, vor allem „Apply Some Pressure“ zum Schluss hat mir gut getan). Auf die neue Platte, die heute vorgestellt wurde und im Mai erscheint, freue ich mich, und ich bin jetzt voll in Stimmung, in voller Lautstärke „Our Velocity“ zu hören und dabei etwas Frühlingshaftes zu machen (wie z.B. Putzen oder durch den Park joggen) …
Leider machte ich aber gerade den Fehler, den Blogeintrag von jemandem zu lesen, der besser über Band & deren Musik Bescheid weiß als ich, schneller mit dem Schreiben war und überdies Ähnliches zum Konzert sagt, was auch ich gesagt hätte … daher habe ich jetzt gar keine Lust mehr, etwas mehr über das Konzert zu schreiben, sondern verweise direkt auf diesen Menschen:
Blogeintrag zum Maximo-Park-Konzert in Köln
Hier aber noch die Setlist von gestern sowie ein paar (Paul-) Fotos … ach ja, und hier noch ein kleines Mini-Video, das aber sehr schön die Stimmung zeigt:
The Kids are Sick Again (neu)
Our Velocity
In Another World You’d Have Found Yourself By Now (neu)
Signal and Sign
The Penultimate Clinch (neu)
By the Monument
I Haven’t Seen Her In Ages (neu)
Clinical (neu)
Going Missing
Tanned (neu)
Books from Boxes
Limassol
Questing Not Coasting (neu)
Girls Who Play Guitars
Graffiti

Zugaben:
That Beating (neu)
Nosebleed
Apply Some Pressure

Paul Smith I
Paul Smith II
Paul Smith III
Paul Smith VPaul Smith IV

Ähnlich wie im Jahr 2000 verbrachte ich die Wahlnacht vor dem Fernseher. Damals war ich frühmorgens in der Gewissheit schlafen gegangen, dass Al Gore der nächste Präsident der Vereinigten Staaten sein würde, nur um dann mittags festzustellen, dass alles noch offen war. Das sollte mir diesmal nicht passieren! Ich würde so lange ausharren, bis ein Präsident feststand und die Kandidaten gesprochen hatten.
Für die langen Fernsehstunden waren amerikanische Nahrungsmittel
amerikanisches Essen
sowie angenehme Gesellschaft bereitgestellt. Aus Rücksicht auf den englischsprachigen Teil dieser Gesellschaft, und weil es sowieso die beste Berichterstattung war, sah man CNN. Dort wurde mit allen technischen Raffinessen gearbeitet – in Wolf Blitzers Studio wurden in Windeseile durch Handwischen und Fingertippen auf der „magischen Wand“ Landkarten vergrößert und verkleinert, wozu jemand stets wie ein Wasserfall über die demographische Zusammensetzung der Wahlgebiete sprach. Der Gipfel war, dass Reporter als Hologramm ins Studio „gebeamt“ wurden und ein dreidimensionales Hologramm des Kapitols auf dem Tisch „aufgebaut“ wurde. Das war natürlich alles total überflüssig, aber sehr niedlich. Und trotz dieser kindlichen Lust an gadgets war die Berichterstattung professionell und immer up-to-date. Wie beim Grand Prix D’Eurovision summierten sich die Punkte (= Wahlmännerstimmen) der beiden Kandidaten, und nach kurzer Zeit wurde schon klar, dass ein Sieg McCains kaum noch möglich war. Man merkte auch schon einen leisen shift in der Berichterstattung – man sprach so langsam schon so, als SEI Obama schon Präsident, und es fand sich bei Straßenumfragen auch niemand, der McCain gewählt haben wollte. Trotzdem wackelte es bei einigen Staaten noch, und je nach Auszählungsphase der Stimmen konnte da auch mal McCain vorne liegen. Unsere Stimmung wechselte also auch extrem …
sad
happy
Die Wartezeit wurde verkürzt mit dem schönen Spiel: „Singe einen Song, in dem ein amerikanischer Bundesstaat namentlich genannt wird!“ Da gibt es dann zum Beispiel
„Almost heaven, West Virginia …. “
„…and her reply came from Anchorage, Alaska …“
“Carolina/She’s from Texas/red bricks drop from/her vagina …”
(zählt das dann gleich als drei Staaten?)
„Sweet Home Alabama“
“And the lights/all went out in Massachusetts …”
„California Dreamin’“, „It Never Rains In Southern California“, „California Girls“ ….
“Memphis, Tennessee, I’m going to Graceland.”

usw. usf. – weil es für die meisten Staaten aber keine Gassenhauer gibt, mussten sie erfunden werden – „I am a rock/I am Rhode Iiis-land.“
Außerdem wurden die amerikanischsten aller Sprechlaute ausprobiert. Sprecht einmal „The rural juror“ oder „Currently, the kurds stir.“, und ihr werdet’s hören.
Nach weiterem Warten („The reason you can’t see anything in Pennsylvania is – we have no votes.“) und 1-A Wahlkommentar von unserem Sofa (“Jetzt sind schon 3% der Stimmen Mönchengladbachs ausgewertet.“) erschien gegen 5 Uhr morgens relativ plötzlich der große Schriftzug: „Barack Obama is elected President of the United States.“ Bums!
Danach folgte nur noch Freude und Erleichterung allerorten (außer in Phoenix, Arizona, wo die McCain-Anhänger versammelt waren.) Es gab sehr viele rührende Bilder von den Straßen Amerikas, tanzende, lachende und weinende Menschen, vor allem in Obamas Stadt Chicago, wo wohl 1 Million Menschen unterwegs waren. Ich konnte mich nicht erinnern, die USA mal bei irgendwas so in Freude vereint gesehen zu haben. Plötzlich erschienen uns auch fast alle Amerikaner nett und gutaussehend!
Recht bald kamen dann auch die Hauptpersonen. Zuerst sprach Verlierer McCain, und ich muss sagen, dass mich die Rede absolut beeindruckte. Er spach ruhig und mit Nachdruck, gratulierte nicht nur Barack Obama, sondern lobte ihn ca. sieben Mal, fast so, als habe er ihn insgeheim gewählt, und er strich seine und Obamas Gemeinsamkeiten und die aller US-Bürger heraus. Seine Anhänger im Publikum murrten und buhten, und er hob die Hände und sagte ernst und energisch „Please.“ Der Effekt war, dass ich dachte: “Ach, McCain ist schon in Ordnung, wahrscheinlich sind eher diese unsympathischen Republikaner da im Publikum und anderswo das Problem.“
Danach kam dann Obama auf seine Chicagoer Bühne, mit Frau und Kindern, farblich abgestimmt in rot/schwarz gekleidet. Während seiner Rede stand er aber allein auf der Bühne, und dabei dachte ich unwillkürlich: Beneiden tu ich ihn nicht. Schwere Aufgaben liegen vor ihm, und er wird sicher rund um die Uhr tierisch beschützt werden müssen. Er war natürlich froh gestimmt, aber die Rede war sachlich, wohltuend un-kitschig, es ging viel um eben jene Zukunftsaufgaben. Nur am Ende wurde es ein bisschen kitschig/religiös, als er von der 106-jährigen Wählerin erzählte und dabei wie in der Kirche nach jedem Absatz alle riefen „Yes we can!“ Aber naja.
Obama während seiner Rede
Schön für die Europäer der Satz: “For those watching far from our shores: A new dawn of American leadership is on the way.” Zum Schluss kamen nicht nur Frau und Kinder wieder raus, sondern auch Joe Biden mitsamt seiner Mutter (!) sowie jede Menge Verwandte. Es war eine fröhliche, rührende Stimmung, so ähnlich wie nach Preisverleihungen, wo alle Sieger am Ende ins Publikum winken.
Und ich ging gegen 7 Uhr morgens zufrieden nach Hause.
Sarah Palin with moustache
Dort bekam ich eine Mail von Thomas in Harvard, wo natürlich in den common rooms auch CNN geguckt worden war.
Heute war dann natürlich schönes Wetter, die Leute waren gut drauf (so bildete man sich ein), und die Zeitungen begrüßten Obama freundlich bis enthusiastisch. Ich kaufte einige und musste feststellen, dass der Kölner Stadtanzeiger auf der Suche nach kölschen Amerika-Experten sogar den Mann, bei dem ich einst Examen machte, befragt und in gewohnt cooler Pose (man beachte die IPod-Strippen!) abgelichtet hatte:
Hanjo Berressem
Neu gelernte englische Vokabel: cankles = Mischung aus “calves” und “ankles” = deutsches Äquivalent: Kartoffelstampfer (die hat nämlich Hillary Clinton).

Auf die Buchmesse zu kommen ist für viele jedes Jahr wie nach Hause zu kommen, weil es so vertraut ist - auch dieses Jahr war vieles beim Alten: In einem Strom gut aussehender Verlagsmenschen passiert man die Eingänge und strebt den Messehallen zu; die Beschilderung ist jedes Mal gleich; wie immer wirbt in den Glaskästen nur der Verlag mit den Nackten; im unglaublich vollen Durchgang zwischen Halle 3.1 und Halle 4.1 riecht es wie immer nach Kaffee und getoasteten Käse-Schinken-Panini; im Foyer von Halle 4.1 steht ein großer gelber DUDEN, ein beliebter Treffpunkt; in Halle 4.1 gibt’s wie immer schlechte Luft und Kunstbuchverlage; schon läuft einem Cherno Jobatey/Guido Westerwelle/Wolfgang Joop/Elke Heidenreich/Ulrich Wickert/Oswalt Kolle (Nichtzutreffendes bitte streichen) vor die Füße. Kommt man in 3.1 rein, sind da zuverlässig Herder, Kiepenheuer & Witsch, Rowohlt; überall rennen Kamerateams herum; überall bringen Bedienstete neue Sekt-Kisten; man nimmt sich an den Ständen der großen Zeitungen alle Buchbeilagen mit; man rennt zu Terminen, trinkt Kaffee, hört den Klatsch aus der Verlagswelt. An jeder Ecke liest jemand etwas aus seinem Buch vor oder wird interviewt. Und überall Bücher, Bücher, Bücher, über die abstrusesten Dinge. Wer soll sie alle lesen?

Später tun dann die Füße weh. Die Raucher stehen draußen im Regen. Auf dem Teppichboden lungern die Buchhandels-Azubis herum. An den Ständen werden Häppchen gereicht. Die großen Tüten mit ZVAB- oder KORSCH-Aufdruck, die viele mit sich tragen, haben sich mit Verlagsvorschauen und Kram gefüllt. Man freut sich auf ein feines Essen am Abend, einen Empfang, eine Verlagsparty.
So ist es dort, und ich bin wahrlich süchtig danach. Es gibt jedes Mal andere Bücher, auch andere Menschen, aber da scheint die Kontinuität größer zu sein – abgesehen davon, dass ich hier jedes Jahr liebe alte Bekannte, Kollegen und Kunden treffe, gilt ja bei mir der Grundsatz: Wenn ich nicht mindestens 17 Mal an verschiedenen Orten Roger Willemsen begegne, ist es keine gute Buchmesse. Dieser Mann scheint jedes Jahr dort zu WOHNEN. Nachdem die Begegnung heuer um 18.30 noch nicht passiert war, war ich etwas verstimmt. Doch dann, auf dem Weg nach draußen, am Rowohlt-Stand: da war mein verlässlicher großer Kamerad! Außer der Frau, mit der er sprach, uns, die gerade gingen, und jemandem, der sauber machte, war niemand mehr in der Halle …Alles war gut.
Roger Willemsen
Ein sehr verlässlicher Gast vor allen möglichen Mikrophonen ist auch immer Sarah Wiener, die ja sehr umtriebig Kochbücher herausbringt. Da ich sie unglaublich attraktiv finde (was irgendwie keiner versteht), freute ich mich auch dieses Jahr wieder sehr, sie zu sehen.
Sarah Wiener signiert Bücher
Für mich ist diese Messe genau das Richtige: Bücher, wichtige Ereignisse und Menschen auf engstem Raum – endlich mal NICHT das Gefühl, etwas zu verpassen. Wo sonst drängelt man sich zwischen Hellmuth Karasek und Henry Maske durch, lernt bei einem Vortrag etwas über den Zufall, fährt dann mit dem schönen Steffen Seibert Rolltreppe, sagt verwirrt „Guten Tag, Herr Gernhardt“ zu Robert Gernhardt, lauscht dem Wissenschaftler Richard Dawkins neben einem FAZ-Reporter, der einschläft, und stibitzt im Vorbeigehen ein Schweinemedaillon aus der frisch gebratenen Auslage von Johann Lafer? (Alles schon geschehen).
Was ich im Vorbeigehen hörte:
„Ich hab nix gegen Michel Friedman. Ist halt’n Fernseh-Arsch.“
„Es ist aber schon was mit Sex, oder?“
„He, beim Ullmann Verlag können wir noch nen Cocktail kriegen, und dann ab.“
„Kennen Sie schon Deutschlands erste Feng-Shui-Tankstelle?“
„Welcher Verlag hat eigentlich noch KEIN Buch mit dem Dalai Lama gemacht?“
„Da kommt der Pamuk.“ – „Also, ich kann sein Zeug nicht lesen. Ich find das SO langweilig.“
„Gucken Sie China an: Da geht’s ja nicht dem Kapitalismus schlecht, eher der Demokratie.“ (Marc Hujer, über sein Buch „Die wiedervereinigten Staaten von Amerika“ sprechend)
„Man darf, im Leben, der Tür nicht nur aufstoßen. Man muss durch der Tür hindurchgehen.“ (Bruce Darnell)
Bruce Darnell
Auch sehr attraktiv: Andrea Meier von 3-sat Kulturzeit. Nur ihr Schweizer Akzent ist etwas anstrengend …
Andrea Meier

Obwohl ich Blöde meine Kamera vergessen hatte (und das ausgerechnet bei Jakob Dylan! Wo ich mich doch hier an dieser Stelle schon über seine Schönheit ausgelassen habe!), schreibe ich jetzt doch über das Konzert – ein Foto gibt es nämlich trotzdem …und Achtung – dies hier kann leider kein professioneller Musikbericht werden, da wir als drei schwärmende Ober-Dylan-Groupies ins Konzert gegangen sind, und ich kann für mich schon mal sagen, dass ich auch als solcher wieder rauskam …
Die Kirchen-Location war prima, aber selbst dieser kleine Ort war nicht ausverkauft. Seit 2003 mit den Wallflowers hatte man Dylan in Köln nicht zu Gesicht bekommen. Das Männer-Frauen Verhältnis im Publikum war so 3:2, einige Ältere dabei, die wohl einfach alles sehen wollen, was Dylan heißt. In dem Zuge war uns schon klar, wer auch wieder als Zuschauer dabei sein würde, und da kam er auch schon: Wolfgang Niedecken.
Wie hieß denn bloß die Vorgruppe? Es war ein nettes Mädel am Keyboard mit netten Liedchen, Schlagzeuger und Geigerin, ganz OK.
Nach relativ langer Wartezeit kam schließlich Jakob Dylan mit Band auf die Bühne: Außer ihm (der uns zunächst nur den Rücken zukehrte) noch ein Schlagzeuger mit Dreadlocks, ein netter Bassist mit wenig Haar oben, dafür aber langen Koteletten, und ein Gitarrist, der wiederum Korkenzieherlocken trug. Die drei in ordentlichen schwarzen Anzügen mit Krawatte; Jakob trug auch einen Anzug (mit engen Hosen), aber drunter ein graues T-Shirt mit V-Ausschnitt – wie wir sahen, als er sich umdrehte und ans Mikrofon trat. Dies war auch der Moment, in dem ich schockiert feststellte, dass mich der plötzliche Live-Anblick seines Gesichts auch diesmal wieder atemlos machte, wie ein Tritt in den Magen. Ich hab echt keine Ahnung was das ist, aber genau wie vor 5 Jahren dachte ich: Das kann doch nicht wahr sein, so ein schönes Gesicht KANN man einfach nicht haben! Da hatte ich mich wohl in den letzten 5 Jahren kein bisschen weiterentwickelt – aber Jakob hatte sich auch nicht großartig verändert, er sah eigentlich kaum älter aus als damals. Leider hatte er wie so oft einen Hut auf, einen hellbraunen Borsalino, der sein Gesicht beschattete, und wir Dylan-Profis wussten gleich: sowohl Hut als auch Jacke würde er heute abend vermutlich nicht abwerfen, schade!
Jakob mit Hut, Foto by Rachel
Sie huben an zu spielen, es gab natürlich die Songs vom Soloalbum; recht früh, bei „Something Good This Way Comes“ merkte man schon, dass die Arrangements oft ziemlich verändert worden waren, vor allem, weil die ganze Band jetzt mitmischen durfte und nicht nur Jakob mit Gitarre sang. Vielen Songs tat das ganz gut, sie klangen schmissiger und nicht so öde, und wurden durch formvollendete Gitarrensoli veredelt. Jakob hielt sich an die Akustikgitarre, während sein Gitarrist zur Linken verschiedenen E-Gitarren schöne Tremolos (Tremoli?) entlockte. Allerdings klangen dadurch auch viele Songs noch mehr nach Country als sowieso schon, und das muss nicht unbedingt gut sein. Aber mir gefiel es eigentlich, es war ruhige, warme, handgemachte Musik, und die raue Stimme Jakob Dylans ist einfach immer schön. Das Publikum war natürlich recht ruhig, aber bei dieser Musik konnte man auch einfach nicht mördermäßig abgehen … immerhin wurde zwischen den Songs ordentlich gebrüllt und geklatscht.
Es gab reichlich Raum, die Gedanken schweifen zu lassen, und um ehrlich zu sein, verloren wir drei uns wieder in der Betrachtung dieses faszinierenden Gesichts – das wird einfach nie langweilig. Nach außen hin mit aufmerksamer Miene der Musik lauschend, schrie es in uns drin schamlos: „Nimm den Hut ab!“ Das tat er natürlich nicht, aber wenigstens schob er ihn etwas höher, so dass es mehr von seinem Gesicht zu sehen gab – diese unglaublich blauen Augen mit den interessanten Schatten („die Augen verraten den Dylan“, sagte Alan Bangs einst), WENN er sie mal aufmacht; dieses Wahnsinns-Profil (wie von einem Künstler geschnitzt); die dunklen Locken vor seinen Ohren; die Falte zwischen den Augen, wenn er singt, überhaupt dieses superkonzentrierte Singen, bei dem er den SINNLICHEN Mund oft kurz auseinanderzieht und singt, als hätte er Schmerzen … alles noch wie damals. Vollends aus den Schuhen haute einen immer noch jedes Mal sein Lächeln, das ja oft nur kurz zu sehen ist. (Und am Schluss nahm er für zwei Millisekunden den Hut ab, was uns einen automatischen Adrenalinstoß bescherte). Allein zur kontemplativen Betrachtung dieses Gesichts, naja, auch des ganzen Mannes (er war immer noch so dürr wie damals, und zog beim Singen die Schultern hoch) und zum Lauschen seiner Stimme hatte sich die Show schon gelohnt!
Aber es wurde tatsächlich auch relativ lange und relativ viel Musik gespielt – er holte nämlich auch „alte“ Wallflowers-Stücke aus der Kiste und verpasste allen ein neues Arrangement. Das gab mal mehr, mal weniger gute Ergebnisse. „Sleepwalker“ spielte er allein mit der Akustikgitarre, ganz nett; auch „I Wish I Felt Nothing“ war schön (das kann er ja, diese schwermütigen, Blues-artigen Lieder). Verhunzt wurde jedoch das schöne Lied „How Good It Can Get“, das bekam einen ganz komischen Rhythmus, und auch „3 Marlenas“ funktionierte nicht – wo es eigentlich rocken sollte, dudelte das Lied mit Handbremse auf der Stelle rum. Toll war wiederum „I’ve Been Delivered“, das klang voller und besser als auf Platte, mit markanten Gitarrentönen des Gitarristen durchsetzt (davon hätte ich gern mal eine Liveaufnahme). Im Publikum brüllte jemand nach „Josephine“, aber das wurde nicht gespielt, auch nicht „One Headlight“. Aber dass sie überhaupt alte Sachen spielten, war ja schon schön – so Songs sind ja alte Bekannte, und es ist toll, die mal wieder von ihrem Urheber vorgesungen zu bekommen!
Es gab wenige knappe Ansagen zwischendurch, typisch Dylan – „Hello, crowd!“ – „How are you?“ Gegen Ende taute er mehr auf, scherzte mit der ersten Reihe, versicherte uns „I do care about you!“ und stellte die Band vor. Aber wie damals ging beim Publikumsgespräch etwas leicht Befremdliches von ihm aus.
So spielte die Musik dahin, und zwischendurch rockte es auch mal richtig. Interessanterweise sang Jakob zum Ende hin immer stärker wie sein Vater – vielleicht bemüht er sich zuerst immer, das nicht zu machen, aber dann kam’s doch durch. Die Stimme ist ja eh ähnlich, und dann zog er auch noch die Töne so, und zwischendurch sprach er auch mal lässig einen Vers – ich konnte mich echt nicht davon freimachen: Wie vermutlich all diese älteren Leute sah ich in diesen Momenten ein Stück des jungen Bob Dylan vor mir, Dylan jungund das löste ein Kribbeln aus. Möglicherweise gab es hier sogar mehr Dylan-Magie als beim „echten“ Dylan – diesen finde ich doch inzwischen sehr alt und schlurfig … Dylan altNach einer lange erklatschten Zugabe war dann Schluss. Merchandising gab es interessanterweise nicht. Man strömte nach draußen, und weil der Tourbus so günstig vor der Kirche in der Straße parkte, postierten wir uns davor. Schließlich musste die Schmach, den schönen Jakob vor fünf Jahren nicht mehr getroffen zu haben, ja noch ausgebügelt werden.
Tatsächlich war es nach einiger Zeit (Bassist und Gitarrist waren schon im Bus) möglich, sich Jakob Dylan zu nähern. Die Stimmung war relaxt, Sachen wurden verladen, Getränke hin- und hergetragen, man rauchte noch draußen und quatschte. Mr. Dylan trug inzwischen eine allerliebste Schiebermütze, lässige Sweat-Klamotten und ausgelatschte Vans. Das erste, was mir auffiel, als ich so direkt neben ihm stand, war, dass er tatsächlich kaum größer war als ich. SO klein hätt ich doch nicht gedacht! Und dann seine blauen Augen, so hell, dass man sie sogar im Dunkeln leuchten sieht. Ein ganz normaler Typ zwar, wie er da im Herbstlaub rumstand, und ich war auch nicht total star-struck, aber auch auf der Straße würde ich mich nach ihm umdrehen, soviel ist sicher! Ein paar Typen bekamen Autogramme und bedankten sich demütig stotternd für das Konzert. Von unserer Seite hieß es dagegen streng: „Wir mussten fünf Jahre auf Dich warten!“ Er darauf: „And did I disappoint you?“ Es war dann sogar möglich, Musik-Kritik zu üben, der er ernsthaft lauschte. Schließlich baten wir um ein Foto mit uns dreien. Während noch geguckt wurde, wer uns denn nun knipsen sollte, hatte ein gut gelaunter Jakob mich bereits gepackt und den Arm um mich gelegt. Hach ja. Die anderen beiden kamen dazu, und nun ist die offene Rechnung von 2003 also beglichen, und wir entschwanden in die Nacht, während Mr. Dylan nach Amsterdam weiterziehen würde.
Jakob und wir

been down so long ...
Dieses Buch als Campus-Roman zu bezeichnen, wäre irgendwie falsch. Es spielt zwar auf einem Universitätscampus, aber die Handlung ist viel zu abgefahren, als dass es in dieses Genre passen würde.
Auf Seite 1 begegnen wir Gnossos Pappadopoulis, dem luprenreinen Antihelden des Romans. Es ist 1958, und er kehrt nach längerer Abwesenheit an seine Uni zurück. (Es ist eine Phantasie-Uni, aber als Vorbild ist leicht Cornell zu erkennen). Weil er aber Gnossos ist, hat er natürlich alle Einschreibefristen versäumt – nun studiert er also nicht, sondern lässt sich so treiben, zettelt alles Mögliche an und hält auch noch seine Freunde vom Studieren ab. 1958 war ja noch alles superstreng; zum Beispiel gab es nicht viele Mädchen an der Uni, sie wurden „coeds“ genannt und streng überwacht. Die „Swinging Sixties“ waren noch weit weg, aber Gnossos fängt einfach schon mal damit an: Er erzählt viele Lügengeschichten (so ähnlich wie Bob Dylan), trinkt Alkohol und macht irgendwelche Drogen-Experimente, versucht, die Frauen ins Bett zu kriegen, beschäftigt sich mit fernöstlicher Religion, fährt in einem Ford Impala auf dem Campus herum, sitzt in Cafes, verliebt sich, macht Unsinn und bekommt viele Probleme. Aber die Hauptsache kriegt er hin: immer cool bleiben.
Die Dinge kommen zu einem Höhepunkt, als an der Uni eine Protestbewegung losgeht: Es geht darum, die strengen Ausgeh-Regeln für die „coeds“ zu lockern. Gnossos wird irgendwie zum Helden dieser Protestbewegung. Außerdem fährt er zwischendurch mit Freunden nach Kuba, wo auch noch turbulente Dinge passieren.
Ich fand den Roman großartig – die Sprache ist etwas schwierig (auch musste ich ein paar Wörter nachschlagen, z.B. „paregoric“, eine Opium-Kampfer-Mischung, die sich Gnossos ab und zu reinzieht), aber voller Anspielungen, gelehrter Uni-Kleinigkeiten und unglaublich komischer Einfälle. Schön sind auch die zahlreichen liebevollen Beschreibungen ekliger Studentenzimmer – oder wie hier, des Autos, mit dem sie unterwegs sind:
The car was littered with bits of Oreo creme sandwiches, Burry’s chocolate chip cookies, empty beercans, stale-smelling laundry, used tissues, old Q-tips, rigid socks, crumbled paper bags, fudgicle sticks, salami rind, Snickers wrappers, sandals, sneakers, fractured hot dog rolls, cheese Danish crumbs, seashells, sand, a palm frond, hair, chicken bones, milkshake containers, peach pits, orange peel, tow blackhawk comic books, torn Time magazines, broken sunglasses, postcards, Juan Carlos’ maps, and a limp, nearly full, knotted Trojan [= Kondom] which had belonged to Heffalump.
1971 gab es eine Verfilmung des Romans, die war aber wohl eher schlecht …
Richard und Mimi Farina
Der Autor, Richard Farina, hat Gnossos vermutlich ein wenig an sich selbst angelehnt – jedenfalls war er selbst 1958 in Cornell (zusammen übrigens mit Thomas Pynchon, der auch das Vorwort schrieb) und auch an Protesten beteiligt. Er erzählte auch gern Geschichten über seine Herkunft (fest steht aber wohl, dass seine Mutter aus Irland und sein Vater aus Kuba stammte). Er hatte viele Freunde in der New Yorker Folkszene Anfang der 60er Jahre, und 1963 heiratete er Joan Baez’ jüngere Schwester Mimi. Die beiden traten auch zusammen als Folkduo auf, wobei er die Dulcimer spielte.
Tragischerweise starb Farina am 30. April 1966 – zwei Tage, nachdem dieser Roman veröffentlicht wurde. Nach einer netten Buch-Signierstunde in der Nähe seines damaligen kalifornischen Wohnorts Carmel kurvte er mit einem Freund hinten auf dessen Motorrad durch die Hügel, und als das Motorrad aus der Kurve flog, schlug er mit dem Kopf auf einen Felsen, was er nicht überlebte. Man fragt sich natürlich, was er noch so alles angestellt und geschrieben hätte in seinem weiteren Leben!
Mehr über das Buch hier.
Ein tolles Buch über Richard und Mimi Farina, Joan Baez und Bob Dylan:
David Hajdu, Positively 4th Street: The Lives and Times of Joan Baez, Bob Dylan, Mimi Baez Farina and Richard Farina (Taschenbuch, North Point Press).
Positively 4th street

Das schöne Leben
Auf dieses Büchlein wurde ich aufmerksam, weil eine Zeitung eine Kapitelüberschrift daraus zitierte: „Ist das noch Boheme oder schon Unterschicht?“ Das spricht natürlich jeden an, der sich in irgendeiner Weise als Freiberufler durchschlägt.
Nach der Lektüre stellte ich aber fest: Erstens geht es da gar nicht so sehr um das Überleben als freie Existenz, und zweitens macht das Christiane Rösinger, WENN sie es erwähnt, doch noch mal ganz anders als ich selbst … mit Identifikation ist da nicht soviel.
Ihr Name war mir durchaus ein Begriff, war sie doch Mitglied der Lassie Singers und der Nachfolgeband Britta. Ihr Buch ist in jedem Fall unterhaltsam, ist aber letztendlich „nur“ ihre bisherige Lebensgeschichte und damit auch nur eines der zahlreichen 80er-Jahre-Erinnerungsbücher, die zurzeit immer noch den Markt überschwemmen. Es steht also auch einiges zu ihrer Kindheit und Jugend im Badischen drin, vom engen Dorfleben und von Ausflügen in Povinzdiscos. Das wiederum ist so gewöhnlich und von so vielen ähnlich erlebt worden, dass es schon wieder uninteressant wird. Christiane bekommt ein Kind (im späteren Verlauf des Buchs fragt man sich dann, wo das Kind wohl bleibt, wenn die Mutter immer bis morgens ausgeht …) und geht Anfang der 80er nach Berlin (auch dieses „Vom-Land-nach-Berlin-Kommen“ hat man schon mehrfach gelesen …) Es folgen schöne Beschreibungen der Kreuzberger Szene vor und nach der Wende, Musikerinnen- und Tourgeschichten, Tipps fürs richtige Ausgehen usw. Wie in allen diesen Erinnerungsbüchern wird versucht, eine Gruppenidentität herzustellen, indem fast immer von „man“ gesprochen wird (siehe auch „Generation Golf“, aber da heißt es meist „wir“ und „uns“). Ach ja, man hing so rum, man saß im Cafe, man ignorierte den Osten Berlins nach der Wende erstmal, usw. Da will ich dann immer rufen: Nein, ich war da aber nicht dabei!!
Wie oben erwähnt, unterscheidet sich Frau Rösingers Freelancer-Leben ein wenig von meinem (und dem meiner Bekannten). Gegen sie sind wir geradezu mustergültig: Haben schon mal versicherungspflichtig gearbeitet und sogar Anspruch auf Arbeitslosengeld, und arbeiten ziemlich bienenfleißig den ganzen Tag. Ich bekomme mal wieder den Eindruck, Menschen, die WIRKLICH erst um 11 Uhr oder so aufstehen, dann erstmal gemütlich Zeitung lesen, dann im Café Kaffee trinken, dann wieder Zeitung lesen, ein kleines Underground-Projekt besprechen und dann wieder Kaffee trinken, um abends dann auszugehen, gibt es in dieser Reinform eher in Berlin als woanders …
Also: So richtig doll war’s nicht, aber ich gönne es Christiane Rösinger, Bücher veröffentlichen zu können und damit Geld zu verdienen, viel eher als ich es vielen anderen Leuten gönne.

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